60 Jahre Menschenrechte und Grundgesetz

Herausforderung an Kirche und Gesellschaft
Vortrag am 30. Oktober 2008 (Zusammenfassung)

Lionspräsident Peter-Michael Voß erinnerte daran, dass am 12. Dezember 1948 die Vereinten Nationen die Menschenrechte erklärt hatten. Ein halbes Jahr später wurden die Grundgesetze der BRD in Kraft gesetzt. Beide Ereignisse  hängen eng zusammen und sind ohne vorausgegangene geschichtliche Katastrophe nicht zu denken. Nur so war ein Neuanfang unter den Völkern Europas möglich. Die Frage nach den Menschenrechten und der Würde des Menschen ist ein hochaktuelles Thema geblieben. Wir sind von der Fragestellung an allen Ecken und Kanten umgeben, und das nicht nur in anderen  Ländern wie China. Sie umgibt uns in vielen Verlautbarungen und ist präsent bei der Diskussion um den Pflegenotstand in Alten- und Pflegeheimen oder dem Umgang mit Asyl- und Abschiebe-Problemen oder der Unterbringung von Migranten über Jahre in heruntergekommenen Containern. Es gibt viele Initiativen und Vereine wie Amnesty International, Pro Asyl, Kinderschutzbund, Attac, Unicef, Greenpeace u.v.m. Auch Städte wie Nürnberg oder Mülheim nennen sich auf Grund ihres Engagements Städte der Menschenrechte.


Die bedrängende Frage ist: Welche Rolle spielen die Menschenrechte heute für die Kirche, für die Gemeinden, für die Politik? Worauf kann der Rat, worauf können die Politiker der Stadt verpflichtet werden?

Woran denken wir zunächst, wenn wir von Menschenrechtsverletzungen sprechen? Was müssen wir dazulernen?

Der Vortrag stellte dann in einem 1. Abschnitt die besonderen geschichtlichen Voraussetzungen heraus, die dazu führten, dass die Menschenrechte in das Grundgesetz aufgenommen sind. Im 1. Artikel erhält die „unantastbare Würde des Menschen“ eine zentrale Bedeutung. In diesem Zusammenhang wurden einige kaum bekannte Zitate von Hitler und Himmler vorgetragen, die die unglaubliche Menschenverachtung und den Rasenwahn des NS-Regimes zeigten. Das Grundgesetz setzt dagegen die ethische Norm der Würde des Menschen als etwas Unantastbares, Unbedingtes, das jeder Verfügungsmacht entzogen ist.

Ein 2. Abschnitt des Vortrages ging auf die Entstehungsgeschichte der Menschenrechte ein von der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung über die französische Nationalversammlung von 1789 bis hin zur Erklärung der UN-Vollversammlung von 1948: “Alle Menschen sind frei und gleich an Würde geboren“. Dabei wurde auf die Universalität in Bezug auf jegliche Diskriminierung und die Unteilbarkeit in Bezug auf die bürgerlichen (Freiheitsrechte) und die sozialen (sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen) Rechte hingewiesen. Die sozialen Rechte waren eine Errungenschaft der Arbeiterbewegung im Kampf gegen den Frühkapitalismus.

Ein 3. Abschnitt beleuchtete den geistesgeschichtlichen Hintergrund der Menschenrechte. Erst die Entdeckung des Individuums und die Erfahrung der Ohnmacht gegenüber der staatlichen Macht schaffen den Boden, das Anliegen der Menschenrechte zur Sprache zu bringen.

Ein 4. Abschnitt befasste sich mit der Stellung der Kirchen, die anfänglich der Menschenrechtsbewegung sehr zögerlich, ja ablehnend gegenüber standen. Das hatte drei Gründe: 1. Die französische Revolution wollte sich auch von der Übermacht der Kirche befreien. 2. Die Menschenrechte gehen vom Individuum aus und suchen keine Verankerung in einer höheren theologischen Gesamtschau der Weltwirklichkeit.

3. Die soziale Not wurde zunächst nicht als strukturelle Not gesehen.

Diese Vorbehalte sind aber in den letzten Jahrzehnten aufgearbeitet worden Es wurden wesentliche gemeinsame Anliegen und Schnittmengen zwischen den Menschenrechten und der christlichen Ethik herausgearbeitet.

Der letzte Abschnitt zeigte auf, dass viele Aussagen im Alten und Neuen Testament von einem Geist zeugen, der im Sinne der Menschenwürde auch Grundlage der Menschenrechte ist. Die 10 Gebote  und die Propheten stellen den Schutz der Schwachen als Aufgabe des Rechtes heraus. Das NT spricht von einer durch Gott verliehenen Würde und Gleichheit aller Menschen, die in Solidarität gelebt werden muss. So wie Jesus von Nazareth an der Seite des körperlich, sozial und geistlich bedrängten Menschen stand, so wird der „Blick von unten“ geschärft. Die Bedingungen, unter denen Menschen Leben, sind wesentlich mit dafür verantwortlich, ob diese Würde respektiert und geschützt wird. Daraus ergibt sich eine Gestaltungsverantwortung – die Würde ist zwar eine von Gott verliehene, aber sie zu bewahren bleibt konkrete mitmenschliche und politische Aufgabe.

Eine christliche Ethik, ohne die Menschenrechtsfrage in den Mittelpunkt zu stellen, ist somit heute unglaubwürdig. Wo das in den Gemeinden nicht begriffen wird, steht die Frage im Raum, ob dort die Christusbotschaft richtig verstanden worden ist.

Heute geistert die Frage nach einer Leitkultur oder nach einer Grundwerte-Diskussion herum. Das ist verständlich, weil die  Grundlage einer christlichen Kultur zerbröselt. Das ist  verständlich, da nur noch die Hälfte der Bevölkerung einer christlichen Kirche angehört und auch wohl nicht alle Mitglieder sich der Inhalte klar sind und diese vertreten.

Die Menschenrechte aber bieten eine Grundlage, auf die sich die weitaus größte Mehrheit der Bevölkerung einigen kann. Und die Kirchen mit ihrer Botschaft sind dabei nicht ausgeblendet.

Gleichzeitig sind die Menschenrechte in wesentlichen Punkten durch das Grundgesetz flankiert und abgesichert. Was hilft die beste Idee ohne rechtliche Grundlage, ohne sie auch durchsetzen zu können?!

Wir haben also mit den Menschenrechten und unserem Grundgesetz die Grundlage unserer Demokratie bewusst zu machen und zu verteidigen.

Ein überzeugendes Beispiel bietet die Stadt Nürnberg mit ihrer Straße der Menschenrechte, ihrer Städte-Koalition gegen Rassismus und dem Städtenetzwerk auf der Grundlage der „Europäischen Charta für den Schutz der Menschenrechte in der Stadt“.

Bleibt die Frage nach einem „Runden Tisch für die Menschenrechte“ in der eigenen Stadt.